Tempo 30 im Ortsgebiet – ein Gedankenexperiment

Sie sind Autofahrer:in? Sehr wahrscheinlich, wenn Sie hier leben. Sie sind aber auch, zumindest ab und zu, Fußgänger:in. Diese beiden Alltagsrollen werden naturgemäß nie gleichzeitig ausgeübt: Sie können sich mühelos zuerst bequem im Auto sitzend, vielleicht mit Tempo anfeuerndem Sound, über die ausgerechnet jetzt die Burgstallstraße entlang gehende Wandergruppe ärgern, die Sie, weil Sie ja nicht so sind, zum Abbremsen veranlasst, und sich kurz darauf, auf dem Weg zu Ihren Nachbarn, über die knapp an Ihnen vorbeifahrenden PKWs, SUVs und LKWs aufregen.
Fühlen Sie einmal in jede dieser Rollen: wer ist stärker? Eben.

Wir alle haben uns zusehends an das Recht des Stärkeren gewöhnt. Wir passen auf, bevor wir eine Straße überqueren, auch auf dem Zebrastreifen, wir weisen schon unsere Kinder an, immer auf der linken Seite der Landstraße zu gehen, damit sie entgegenkommende Fahrzeuge sehen und nicht von hinten überrascht werden. Wir weichen aus, wir schauen uns um, wir sind vorsichtig.
Manchmal fürchten wir uns vor zu schnellen Autos.

Außer, wir sitzen selber drin. Der Frühling, die Musik, die Geschwindigkeit – das E-Auto reagiert so wunderbar schnell auf das Gaspedal, das eigentlich längst anders heißen sollte, und ist noch dazu so sauber unterwegs. Herrlich! Shit, ein Fußgängerübergang mit überquerenden Menschen! Ach je, ein Traktor!
Jetzt stellen Sie sich bitte noch vor, im gesamten Gemeindegebiet wäre 30km/h als Höchstgeschwindigkeit erlaubt.
Sie ärgern sich?

Steigen Sie bitte aus, gedanklich, und gehen Sie ein Stück zu Fuß weiter. Sie können während des Gehens mit anderen ein Gespräch führen, auch wenn Autos an Ihnen vorbei fahren. Sie haben Zeit genug, die Straße zu überqueren, wenn Sie den SUV schon erkennen. Nach und nach stellen Anrainer:innen vielleicht die eine oder andere Bank am Straßenrand auf, Nachbar:innen plaudern mit Vorübergehenden, es ist gemütlich geworden, hier zu sein.

Sie steigen gedanklich wieder in Ihr Auto, weil das ohnehin nichts bringt? Weil sich sowieso niemand dran hält?
Halt, warten Sie noch einen Augenblick! Da vorne werden Bäume gepflanzt, die befahrbare Straße ist jetzt viel enger, und da, neben der Bank, auf der zwei Leute sitzen, steht ein Trog mit Blumen. Sieht hübsch aus, oder?

Ach so, Sie haben keine Zeit, sich das anzusehen, Sie müssen schnell von A nach B und bis zum Abend noch durch das halbe Alphabet. Wissen Sie was? Sie verlieren insgesamt ca. 2 Sekunden pro hundert Meter bei 30km/h verglichen mit 50 km/h! Von Burgstall City bis ins Gemeindezentrum brauchen Sie ca. 1 Minute länger! Das ist eine höhere Lebensqualität doch wert. Oder?

30km/h als Höchstgeschwindigkeit im gesamten Gemeindegebiet, das ist Lebensqualität! Tragen Sie dazu bei, seien Sie mehr Fußgänger:in, auch wenn Sie im Auto sitzen!

Susanne Wimmer

DAS KARUSSELL

„Ja, wenn sich alles dreht, wenn sich alles dreht“- dieser Liedtext Jacques Brels, von Michael Heltau interpretiert, fällt mir ein, wann immer ich an das Karussell in Maria Anzbach denke oder es besuche.
Gegründet wurde der Trägerverein „Soziales Miteinander im Wienerwald“ im Jahr 2016. Angetrieben wird es von der Obfrau Judith Aschenbrenner mit den circa 20 Mitarbeitern und vor allem Mitarbeiterinnen, die allesamt ehrenamtlich tätig sind. Dass an den Verkaufstagen mittwochs von 16h – 18.30h und samstags von 10h – 12.30h alles geordnet und übersichtlich bereitsteht, wird von den sogenannten „Räumteams“ vorbildlich in den jeweiligen Abteilungen aufbereitet.

Den Start des Karussells haben die Grünen in Eichgraben, Neulengbach und Maria Anzbach durch monetäre Zuwendung erst möglich gemacht. Einen Container, der als Möbellager fungiert, hat die Gemeinde Altlengbach beigesteuert. Besonders erwähnenswert ist die Familie von Gerda Pichler, die für die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten eine wirklich kulante Miete verrechnet. So kann nach Abzug der Betriebskosten dem eigentlichen Zweck gedient werden: Zu helfen, wo der Schuh drückt. Ausbildungskosten, Fortbildungskosten, Fahrtkosten, Ausstattung für Bedürftige über Sachspenden, Schulanfangszuwendungen, Beiträge zu Schullandwochen, Mietkosten, Heizkosten und vieles mehr. Wie zum Beispiel die Organisation und Übernahme der Transportkosten von 12 Tonnen Ware inklusive einer Sachspende von je einer Tonne Salz, Zucker und Waschpulver nach der Explosionskatastrophe im August 2020 in Beirut.

All das ist natürlich auch den vielen Menschen zu danken, die dem Karussell regelmäßig einen Besuch abstatten und Unterschiedlichstes vorbeibringen. Manches Mal in so großen Mengen, dass sogar ein Übergabetermin außerhalb der Öffnungszeiten notwendig ist. So ist das Karussell auch ein Ort der Begegnung, der Befreiung des Überschusses, des Tausches, des sich Austauschens, des Stöberns, des Schnäppchen-Jagens und vieles mehr. Auf alle Fälle auch ein Platz des Gemeinwohls, der gegenseitigen Wertschätzung und Achtung. Das schafft Identität mit dem uns umgebenden Lebensraum und einer funktionierenden Zivilgesellschaft.

Ein nicht unwesentlicher Aspekt dieser Initiative ist auch die damit einhergehende Ressourcenschonung, die vielen in diesem Ausmaß gar nicht bewusst ist. Einige Beispiele aus der Textilabteilung sollen das verdeutlichen.
Die CO2 Emissionen eines T-Shirts liegen circa bei 11 Kg. Das ist in etwa das 50-fache des Eigengewichts. Dazu kommen noch mehrere Kilogramm Chemikalien.
Um sich das besser vorstellen zu können, ist der Wasserverbrauch ein guter Parameter. Alle Produktionsschritte berücksichtigend, verbraucht eine Jeanshose, bis sie verkaufsfertig ist, in etwa 7000 Liter. Bei einem T-Shirt sprechen wir von bis zu 4100 Liter. Eine Badewannenfüllung beträgt im Schnitt 150 Liter Wasser.
Meiner Ansicht nach hat es sich so ein Kleidungsstück auch verdient, lange getragen zu werden und sich auf mehreren Besitzer:innen zum Ausdruck bringen zu dürfen.

Diese Ressourcenschonung und der Nachhaltigkeitsgedanke sind für den Großteil der Besucher und Besucherinnen ein wesentliches Motiv, regelmäßig das Karussell zu beehren.
So wie jeder und jede willkommen ist, so viel zu kaufen wie er oder sie möchte, so sind ohne Altersgrenze auch jene willkommen, die sich vorstellen können mitzuhelfen, damit sich das „Kurradsch“, das aus dem Arabischen kommend seit dem Mittelalter zum Karussell wurde, weiterdreht.

Heimo Lammer