Das Ende der Kohlreithwiesen

Oder die Geschichte vom Untergang eines Naturjuwels in der Gemeinde Maria Anzbach.

Im zeitigen Frühjahr treiben mich die ersten warmen Sonnenstrahlen schon seit jeher sehr bald auf die Wiesen in meiner Wohn-Umgebung. Ich kann es kaum erwarten, zu sehen, was sich auf diesen wunderbaren Lebensräumen tut. Sind die ersten Frühlingsblüher schon zu beobachten? Gibt es gar schon Besonderheiten wie die Kuhschellen oder Wiesen-Orchideen zu bewundern? Anfang April zog es mich wieder auf den Kohlreith – aber was hat mich dort erwartet? Dazu gleich mehr – vorher gestatten Sie mir einen Blick in die jüngere Vergangenheit der Wiesen auf dem Anzbacher Hausberg.

Die Kohlreithwiesen sind mir natürlich schnell ins Auge gefallen, als wir 2001 nach Anzbach gezogen sind. Von weitem fallen einem diese Steilhangwiesen am bewaldeten Nordabhang des Kohlreiths auf und insbesondere vom heimatlichen Raßberg sind sie ein gewohnter Blick. Der erste Eindruck wurde bestätigt als ich mir die Wiesen genauer angesehen habe. Ein Artenreichtum an Gräsern und Kräutern, eine Vielfalt an Blüten und Insekten präsentierte sich mir neben der beeindruckenden Aussicht auf das Anzbachtal und die weitere Umgebung.

Auch in den frühen 2010er Jahren war die Welt hier oben noch in Ordnung. Im Auftrag des Biosphärenparks kartierte ich die Offenlandschaft des westlichen Wienerwalds – darunter natürlich auch die Kohlreithwiesen. 85 verschiedene Pflanzenarten konnten damals festgestellt werden, darunter 27 Arten, die in der Roten Liste der gefährdeten Arten angeführt wurden.

Damals konnte man sie noch finden, die Orchideen – diese wundersamen Geschöpfe: Fuchs-Knabenkraut, Zweiblatt, Mücken-Händelwurz, Waldhyazinthe. Und ihre Geschichten erzählen: Viele Orchideen gehören zu den sogenannten Nektartäuschblumen. Sie täuschen mit ihren wunderschönen Blüten reichliche Nektarquellen vor. Doch die Bienen müssen enttäuscht abziehen. Die Orchideen haben die Bienen nur gelockt, um sich bestäuben zu lassen – ohne Gegenleistung. Das gelingt aber nur bei den frühen Bienen – sowas spricht sich halt schnell um im Stock und die prächtigen Blüten werden nicht mehr angeflogen. Die Orchideen sind daher meist sehr früh im Jahr zu finden, um die noch unerfahrenen Bienen reinzulegen.

Die mitteleuropäischen Wiesen und Weiden gehören zu den artenreichsten Lebensräumen – auf kleinen Flächen gibt es eine Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten, die einem Vergleich mit tropischen Lebensräumen durchaus standhalten. Dies gilt aber nur für das extensive Grünland – also traditionell bewirtschaftete, ein- bis zweimähdige Wiesen etwa, ohne Düngegaben und mit spätem Schnittzeitpunkt.

Mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten und dem Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe und gleichzeitiger massiver Intensivierung der Bewirtschaftung sind traditionell gepflegte Wiesen nur noch selten zu finden. In der Regel leuchtet einem sattgrünes Einerlei im Frühling entgegen – wo nur noch die gelben Tupfen des Löwenzahns einer geringen Schar an blütenbesuchenden Insekten Nahrung bieten.

Nicht so ausgeprägt zeigt sich diese unheilvolle Entwicklung bei uns im Wienerwald. Intensivierung und Bauernsterben gibt es wohl auch hier – allerdings werden die Wiesen häufig für die Produktion von Pferdeheu verwendet – und die Pferde bevorzugen balaststoffreiches Futter, dass es auf spät gemähten artenreichen Wiesen zu ernten gibt. Ich weiß nicht, in welche Mägen das Heu der Kohlreithwiesen gelangt ist – der Bewirtschafter der überaus schwierig zu mähenden Steilhänge wurde aber beim Tag der Artenvielfalt, den der Biosphärenpark 2013 in Maria Anzbach veranstaltete, zu Recht als „Wiesenmeister“ geehrt.

10 Jahre danach sieht die Sache allerdings ganz anders aus! Schon bald nach der Auszeichnung wurden ein Teil des unteren Hangbereichs mit Nadelholz aufgeforstet und der Anfang vom Ende begann. Der Wiesenmeister dürfte vor ein paar Jahren in Pension gegangen sein. Die verbliebenen Kohlreithwiesen wurden nicht mehr gemäht und bei meinen Besuchen in den Jahren der Pandemie musste ich rasche Veränderungen feststellen. Das Reitgras – ein typischer Brachezeiger – breitete sich auf Kosten der Blütenpflanzen aus. Über weite Strecken gab es massiven Gehölzaufwuchs. Mir schwante Böses – wenn nichts getan wird, wird sich der Wald die Flächen bald zurückholen. Doch es tat sich was. Die Wiesen wurden gehäckselt, um den Gehölzaufwuchs zu verhindern – z.T. allerdings im Frühjahr – von den Orchideen und anderen Seltenheiten war schon nicht mehr viel zu sehen. Und es wurden Zaunpfähle errichtet, eine Beweidung wurde anscheinend vorgesehen. Werden die Kohlreithwiesen spät aber doch noch als offenes, artenreiches Grünland erhalten? Welche Weidetiere werden hinkommen, Pferde etwa vom oben angrenzenden Pferdehof?

Die Nachschau im heurigen April ließ mich jedoch ernüchtert zurück. Die östliche Wiesefläche ist fertig eingezäunt und darin befindet sich eine Herde Damwild. Und wie steht es um die Vegetation? Kurz gefressen, rasenartig – vollkommen entwertet! Der westlichen Wiese wird es nicht anders ergehen – die Zaunpfähle werden auch dort schon errichtet. Mit einem Damwildgehege endet die glorreiche Geschichte der Kohlreithwiesen und damit verliert der westliche Wienerwald eine seiner bedeutendesten Naturjuwele.

Was ist nun die Conclusio der Geschichte? Die besten Schutzgebietsausweisungen helfen nichts, wenn die Verwaltungen personell unterbesetzt und notorisch unterfinanziert sind und kein nennenswertes Schutzgebietsmanagement vorhanden ist – in diesem Fall der Biosphärenpark, in vielen anderen Fällen in Niederösterreich die Natura 2000-Gebiete.

Was kann man nun auf Gemeindeebene tun? Zumindest sollte der Wert unserer Landschaft und speziell der naturnahen Wälder und Wiesen den Verantwortlichen und der Bevölkerung bewusst sein. Man könnte eigentlich stolz sein auf das Naturerbe, dass uns hinterlassen wurde und alles dafür tun, dass dies auch unseren Nachkommen noch möglich ist. Für die Kohlreithwiesen ist es zu spät – dem Erhalt anderer Highlights der Biodiversität in Anzbach wie der Kuhschellenböschung am Buchberg oder naturnahen Wäldern wie am Häuselbach sollte in Zukunft aber dringend mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden!

Reinhard Kraus

Blick über die Kohlreithwiesen auf Ma. Anzbach im Jahr 2005

Kohlreithwiesen 2012

Aufgeforstete Kohlreithwiese am Unterhang (2024)

Tempo 30 im Ortsgebiet – ein Gedankenexperiment

Sie sind Autofahrer:in? Sehr wahrscheinlich, wenn Sie hier leben. Sie sind aber auch, zumindest ab und zu, Fußgänger:in. Diese beiden Alltagsrollen werden naturgemäß nie gleichzeitig ausgeübt: Sie können sich mühelos zuerst bequem im Auto sitzend, vielleicht mit Tempo anfeuerndem Sound, über die ausgerechnet jetzt die Burgstallstraße entlang gehende Wandergruppe ärgern, die Sie, weil Sie ja nicht so sind, zum Abbremsen veranlasst, und sich kurz darauf, auf dem Weg zu Ihren Nachbarn, über die knapp an Ihnen vorbeifahrenden PKWs, SUVs und LKWs aufregen.
Fühlen Sie einmal in jede dieser Rollen: wer ist stärker? Eben.

Wir alle haben uns zusehends an das Recht des Stärkeren gewöhnt. Wir passen auf, bevor wir eine Straße überqueren, auch auf dem Zebrastreifen, wir weisen schon unsere Kinder an, immer auf der linken Seite der Landstraße zu gehen, damit sie entgegenkommende Fahrzeuge sehen und nicht von hinten überrascht werden. Wir weichen aus, wir schauen uns um, wir sind vorsichtig.
Manchmal fürchten wir uns vor zu schnellen Autos.

Außer, wir sitzen selber drin. Der Frühling, die Musik, die Geschwindigkeit – das E-Auto reagiert so wunderbar schnell auf das Gaspedal, das eigentlich längst anders heißen sollte, und ist noch dazu so sauber unterwegs. Herrlich! Shit, ein Fußgängerübergang mit überquerenden Menschen! Ach je, ein Traktor!
Jetzt stellen Sie sich bitte noch vor, im gesamten Gemeindegebiet wäre 30km/h als Höchstgeschwindigkeit erlaubt.
Sie ärgern sich?

Steigen Sie bitte aus, gedanklich, und gehen Sie ein Stück zu Fuß weiter. Sie können während des Gehens mit anderen ein Gespräch führen, auch wenn Autos an Ihnen vorbei fahren. Sie haben Zeit genug, die Straße zu überqueren, wenn Sie den SUV schon erkennen. Nach und nach stellen Anrainer:innen vielleicht die eine oder andere Bank am Straßenrand auf, Nachbar:innen plaudern mit Vorübergehenden, es ist gemütlich geworden, hier zu sein.

Sie steigen gedanklich wieder in Ihr Auto, weil das ohnehin nichts bringt? Weil sich sowieso niemand dran hält?
Halt, warten Sie noch einen Augenblick! Da vorne werden Bäume gepflanzt, die befahrbare Straße ist jetzt viel enger, und da, neben der Bank, auf der zwei Leute sitzen, steht ein Trog mit Blumen. Sieht hübsch aus, oder?

Ach so, Sie haben keine Zeit, sich das anzusehen, Sie müssen schnell von A nach B und bis zum Abend noch durch das halbe Alphabet. Wissen Sie was? Sie verlieren insgesamt ca. 2 Sekunden pro hundert Meter bei 30km/h verglichen mit 50 km/h! Von Burgstall City bis ins Gemeindezentrum brauchen Sie ca. 1 Minute länger! Das ist eine höhere Lebensqualität doch wert. Oder?

30km/h als Höchstgeschwindigkeit im gesamten Gemeindegebiet, das ist Lebensqualität! Tragen Sie dazu bei, seien Sie mehr Fußgänger:in, auch wenn Sie im Auto sitzen!

Susanne Wimmer